Gebäude des Oberlandesgerichts Düsseldorf, in dem üblicherweise Gerichtsprozesse mit erhöhten Sicherheitsvorkehrungen stattfinden.
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Prozess in Düsseldorf Ein Netzwerk aus Terrorismus-Finanzierern

Stand: 17.04.2024 05:05 Uhr

Sie sollen Hunderttausende Euro nach Syrien transferiert haben. Deshalb müssen sich seit heute fünf mutmaßliche IS-Unterstützer in Düsseldorf vor Gericht verantworten. Ermittlungen ergaben nach SWR- und BR-Recherchen tiefe Einblicke in das Netzwerk.

Von Eric Beres, SWR, und Joseph Röhmel, BR

Als die Polizei im Mai 2023 in zehn Bundesländern anrückte, um mehr als 100 Objekte zu durchsuchen, war die Salafisten-Szene aufgeschreckt und präsentierte sich in sozialen Netzwerken als Opfer. Man habe unschuldigen Familien Geld für Kleidung, Windeln und Lebensmitteln geschickt. Die Bundesanwaltschaft sieht das anders. Sie hat seit Jahren Personen im Visier, die mutmaßlich Terrorfinanzierung im Namen der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) organisieren. Bei der Razzia im Mai gab es mehrere Festnahmen.

Durch ein ausgeklügeltes Spendensystem soll das Unterstützernetzwerk zwischen 2020 und 2022 mehr als 250.000 Euro von Deutschland nach Syrien transferiert haben. Damit sollten in Lagern in Nordostsyrien inhaftierte Angehörige des IS freigekauft werden oder ein "den Vorgaben des IS entsprechender Lebensstil innerhalb der Lager" finanziert werden, so der Vorwurf der Bundesanwaltschaft. Ende November erhob sie Anklage gegen fünf Beschuldigte. Der Prozess startet heute vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf.

Der Fall Elif Ö. aus Bayern

Die Ermittlungen ergaben nach Informationen von SWR und BR, wie die Angeklagten in das Netzwerk eingebunden waren. Unter anderem gab es offenbar Kontakt zu Elif Ö. Sie ist eine mutmaßliche IS-Unterstützerin, aufgewachsen in Bayern. 2015 machte ihr Fall Schlagzeilen, weil sie sich als 16-jährige Schülerin dem IS in Syrien angeschlossen hatte. Nun zeigen die Ermittlungen, dass Elif Ö. mutmaßlich eine wichtige Rolle in dem Netzwerk spielte. Bis heute wird sie in Syrien vermutet.

Als der IS 2019 viele Gebiete verlor und in die Defensive geriet, wurde Ö. von kurdischen Sicherheitskräften festgenommen. In dem Frauen-Lager "Al Hol" soll sie sich Ermittlungen zufolge weiter für die IS-Ideologie eingesetzt und auch via Messengerdienst Telegram um Spenden gebeten haben. Zudem soll sie an einem tätlichen Angriff auf eine Frau beteiligt gewesen sein, die sich dem IS widersetzte. 

Nach ihrer Flucht in den Westen Syriens, in die von Islamisten kontrollierte Region Idlib, propagierte Elif Ö. über Telegram weiter die IS-Ideologie und warb unter anderem mit dem Kanal "Unsere Schwestern" um Spenden aus Deutschland, so Erkenntnisse von Ermittlern. Nach Recherchen von SWR und BR gehen die Ermittler davon aus, dass Elif Ö. mindestens 40.000 Euro eingeworben hat. Auch nach ihrer Flucht soll sie Geld aus Deutschland an inhaftierte IS-Frauen weitergegeben haben.

Angeklagter im Prozess hatte offenbar Kontakt zu Elif Ö.

Eine von Elif Ö.s mutmaßlichen Kontaktpersonen ist der nun in Düsseldorf angeklagte kosovarische Staatsbürger Kujtim B. aus Rheinland-Pfalz. Er sollte offenbar eingeworbene Spenden in die Türkei oder nach Syrien transferieren. Laut Zeugenaussagen soll B. in Zusammenhang mit Geldtransfers mit mehreren Personen zusammengearbeitet haben - unter anderem mit der in Düsseldorf ebenfalls angeklagten marokkanischen Staatsbürgerin Siham O. aus Bremen.  

Mit ihr soll sich B. laut Chatprotokollen mindestens zweimal persönlich getroffen haben. Dabei kam es offenbar auch zu Geldübergaben. Um welche Summen es dabei ging, ist unklar. Zwischen Januar und September 2021 überwies die Bremerin laut den Ermittlungen zudem über mehrere Bankkonten mehr als 13.000 Euro an Kujtim B. - teils getarnt als Geld für "Urlaub", "Geschenk" oder "Uwe", aber auch mit Verwendungszwecken wie "Lebensmittelpaket" oder "Medizin". Unklar ist, wie das Geld O. in Syrien erreichte. Ermittler vermuten, B. könnte diese über Mittelsmänner in die Türkei transferiert haben.  

2022 kam es womöglich zu weiteren Geldtransfers nach Syrien. Nach persönlicher Aufforderung von Elif Ö. soll sich der 29-jährige Kujtim B. bereit erklärt haben, 1.000 Euro an den Ehemann von Elif. Ö zu spenden. Der Ehemann von Ö. befand sich den Ermittlern zufolge zu diesem Zeitpunkt als Kämpfer des IS in einem anderen Teil Syriens. Ö. und ihr Ehemann tauschten sich wohl via Telegram aus. Sie versuchte offenbar, für ihren Ehemann finanzielle Mittel zu organisieren. Das Geld von Kujtim B. sollte wohl für ein Motorrad und einen Minen-Detektor dienen.

Spendennetzwerke zur Verbreitung der IS-Ideologie

Für Sofia Koller, die als Analystin bei der Organisation "Counter Extremism Project" unter anderem zu deutschen IS-Dschihadisten forscht, haben solche Spenden-Netzwerke eine hohe Bedeutung für die Salafisten-Szene: "Sie dienen natürlich der Verbreitung und Aufrechterhaltung extremistischer Ideologie. Es wird etwa aktiv darauf hingewiesen, dass die Unterstützung oder Befreiung von Gefangenen eine der größten Pflichten ist und eine der besten Möglichkeiten, Gott näher zu kommen."

Die Anwälte von Kujtim B. und Siham O. wollten sich auf Anfragen von SWR und BR nicht zu den Vorwürfen äußern. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat für den aufwändigen Prozess vorerst 18 Verhandlungstage angesetzt. Von einem "spektakulären Fall" spricht Koller: "Einmal sind es relativ viele Angeklagte, insgesamt fünf Angeklagte, darunter auch drei Frauen. Außerdem natürlich der Umfang. Es geht um mehrere Hunderttausend Euro, was schon eine große Summe ist", so die Analystin. 

Joseph Röhmel, BR, tagesschau, 17.04.2024 06:05 Uhr